Der Künstler François Lopez (1968) ist ein Autodidakt. In seinen Jugendjahren erlernte er den Beruf des Offsetdruckers. Ernüchtert von der fortschreitenden Digitalisierung der Druckmaschinen, welche zwar den Herstellungsprozess von Printmedien bedeutend vereinfachte, gleichzeitig aber auch die Anforderungen an das handwerkliche Geschick minimierte, wendete sich François Lopez schon bald nach Abschluss der Lehre von seinem ersten Beruf ab. Bis heute angehalten hat jedoch seine Vorliebe für die Malerspachtel und zähflüssigen Farben, welche für die Einfärbung der Walzen im konventionellen Offsetdruck gebräuchlich sind. Als François Lopez 2012 seine Tätigkeit als freischaffender Künstler aufnahm, überführte er Werkzeug und Farbmittel vom Handwerksgewerbe in seine Kunst. Allerdings stellte sich bei diesem Transfer ein technisches Problem: Da die Offsetfarbe eine sehr hohe Viskosität aufweist und somit Widerstand leistet, kann sie nur mit viel Druck auf der Leinwand verstrichen werden. Für die künstlerische Bearbeitung grosser Flächen erwies sich der Spachtel aus diesem Grund als ungeeignet – das unnachgiebige Blech würde die Leinwand beschädigen. François Lopez fand in der Siebdruck-Rakel, welche aus einer Gummikante und einem hölzernen Griff besteht, einen geeigneten Ersatz. Die Leinwand hält selbst einer starken Druckausübung mit dieser Rakel stand. Der Spachtel wurde fortan als Zeicheninstrument eingesetzt. Für die Gestaltung einzelner Partien kommt seltener auch ein schmaler Farbroller zur Anwendung. Meist arbeitet François Lopez auf mittelgrossen bis sehr grossen Querformaten, die für den Akt des Malens flach auf dem Tisch oder Boden liegen. Mit einer expressiven Gestik schreibt sich der Künstler während des performativen Entstehungsprozesses in seine Werke ein. Von den kräftigen, grosszügigen Bewegungen, die mit der Rakel vollführt wurden, zeugen die strukturellen Elemente in den Gemälden. Charakteristisch sind hierbei die Streifenkompositionen, die durch das lineare Ziehen beziehungsweise Stossen der Rakel in vertikaler Richtung entstanden sind.
Die Bildwelt von François Lopez ist farbenprächtig und abstrakt. Die intensive Leuchtkraft der Farben sticht sofort ins Auge. Wie beim Offsetdruck entstehen die Kompositionen durch Kombinationen der Grundfarben Yellow, Magenta, Cyan und Black, wobei die Farbmischung grösstenteils direkt auf der Leinwand erfolgt. Auf derselben Leinwand kann die Dichte des Farbauftrags stark variieren, an manchen Stellen schimmert der Leinwandgrund noch durch, an anderen Stellen bildet die Farbe wegen des dicken Auftrags eine Orangenhaut. Durch die Sättigung und die Farbkontraste werden die Farben zusätzlich intensiviert. Bisweilen übermalt der Künstler einzelne Partien mit Deckweiss. In der Funktion als Lichteffekte steigern auch diese die Wirkkraft der Farben. Zuweilen spiegelt sich das real vorhandene Licht auf den glatten Oberflächen.
Eine Vielzahl der Gemälde ist in harmonischen Farbklängen gehalten, die trotz der künstlichen Grelle natürliche Stimmungen evozieren: Die Bilder erinnern an den Frühling und den Herbst, an die Dämmerung und die Nacht. Das Bild Ohne Titel von 2012 (vgl. unten) thematisiert eine nächtliche Szene. Ein freier Farbverlauf, der vom oberen schwarz gefärbten Bildrand gegen das Zentrum hin in ein Königsblau übergeht, gibt den dunklen Himmel wieder. In der Bildmitte ist eine weiche Horizontlinie zu erkennen. Ein bisschen nach links versetzt wird im Mittelgrund ein Haus angedeutet, dass mit gelbem Licht ausgeleuchtet ist. Die Streifen in hellerem Blau im Vordergrund wirken wie sprudelnde Wasserfontänen, in denen partiell künstliches Licht reflektiert. Mit dem Hell-Dunkel- Kontrast wird dem Bild eine Tiefe verliehen. An diesem Beispiel wird deutlich, wie durch das
kompositorische Zusammenspiel von Farben und Formen bestimmte Assoziationen hervorgerufen werden. Bewusst verzichtet der Künstler auf Werktitel. Damit bringt er zum Ausdruck, dass auch andere Assoziationen zulässig sind.
Mit leuchtenden Farben übersetzt François Lopez Eindrücke aus dem Alltag auf die Leinwand. Die Übersetzungsleistung zeigt sich darin, dass der Künstler Anregungen aus der Natur aufnimmt, ohne sie nachahmen zu wollen. Die Gemälde von Landschaften, Architekturen und Vegetationen verfügen über einen hohen Grad an Abstraktion, der durch eine starke Reduktion und Verfremdung des in der Wirklichkeit Gesehenen erzeugt wird. So lässt der Künstler Details weg oder eliminiert natürliche Beleuchtungssituationen zugunsten einer künstlich hergestellten Belichtung. Die abstrakten Darstellungen konfrontiert er mit nicht-darstellerischen Bildern. Dadurch versucht der Betrachter einen Bezug zur Realität zu schaffen, auch dort, wo es keinen gibt.
Seine erste Ausstellung gestaltete François Lopez im November 2012 in der Villa Belair, Zürich, wo er auch sein Atelier eingerichtet hat. Im April 2013 findet am selben Ort die zweite Ausstellung statt, wobei der Künstler sein abstraktes Schaffen vor allem um vielfarbige Grossformate und Arbeiten in Schwarz-Weiss beziehungsweise Graustufen erweitert hat.